Es war ein Zufall, der mich Ende der achtziger Jahre auf den Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg aufmerksam gemacht hatte, von dem ich bis dahin so wenig gehört hatte wie fast alle Deutschen. Das 1988 in Paris erschienene Buch „Le ciel était noir sur l’Euphrat“ von Jacques der Alexanian konfrontierte mich mit den Erlebnissen eines Verfolgten, die mir aus der Lektüre vieler Berichte von und über Juden inzwischen sehr bekannt waren. Nur war der Verfolgte diesmal nicht ein Jude, sondern ein Armenier.
Die nächste Überraschung erlebte ich, als ich mir Literatur zu diesem Thema verschaffen wollte. Es gab deutschsprachige Bücher in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, aber sehr wenige Arbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben dem 1963 in der DDR erschienenem Buch „Stossrichtung Nahost 1914-1918“ von Lothar Rathmann waren richtungweisend die 1968 in Kiel vorgelegte Dissertation von Wilhelm van Kampen („Studien zur deutschen Türkeipolitik in der Zeit Wilhelms II“) sowie die auch als Buch erschienene Arbeit des Kirchenhistorikers Uwe Feigel („Das evangelische Deutschland und Armenien“, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 1989). Doch beide Autoren arbeiteten nicht weiter am Thema. Einzig die Berliner Armenien-Spezialistin Tessa Hofmann, die zu jener Zeit eine größere Text- und Foto-Aufstellung veröffentlicht hatte, trug weiterhin Material zusammen. Die Österreicherin Annette Höss wiederum hatte 1991 in einer Dissertation erstmals die Kriegsverbrechertribunale in Konstantinopel gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs anhand französischer Zeitungsberichte beleuchtet, ein Thema, das in der Folgezeit der türkische Wissenschaftler Taner Akçam im deutschsprachigen Raum aufarbeitete. Die deutsche Historikerzunft jedenfalls war weitgehend abwesend - und ist es bis heute, wie der Schweizer Historiker Hans-Lukas Kieser bemerkte.
Nach einer Serie im SPIEGEL 1991 über Berg-Karabach und den Völkermord an den Armeniern erschien 1993 im Hanser-Verlag mein Buch „Der Völkermord an den Armeniern. Die Tragödie des ältesten Christenvolks der Welt“. Mir ging es darum, diesen ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts anhand der vorhandenen deutsch-, englisch- und französischsprachigen Veröffentlichungen vorzustellen. Eigene Forschungen standen für mich als Journalisten nicht im Vordergrund. Ich sah es als meinen Job an, das wichtigste mir zugängliche Material zusammenzutragen, das Thema übersichtlich darzustellen und gut zu beschreiben. Das galt auch für mein zweites Buch über das Osmanische Reich, das praktisch aus dem sehr lang geratenen Kapitel über die historischen Hintergründe des Völkermords entstanden ist.
Während sich die Wissenschaftler im angelsächsischen Raum stets bemühen - und sehr oft mit verblüffendem Erfolg -, die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten gut lesbar aufzubereiten, bleibt im deutschen wissenschaftlichen Betrieb häufiger die Lesbarkeit auf der Strecke. Journalistisch geschulte Publizisten können hier eine Mittler-Funktion erfüllen.
Nach einer erfreulichen Zunahme seit den neunziger Jahren von Artikeln und Büchern zum Thema des Armenier-Genozids, ging es mir 2005 beim Buch „Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts“ im Verlag zuKlampen um die Publikation wichtiger deutscher AA-Akten. Das deutsche Auswärtige Amt hatte alle Akten unter der früheren Bezeichnung „Türkei/183 (Armenische Angelegenheiten)“ sowie die zum gleichen Thema gesammelten Akten der deutschen Botschaft in Konstantinopel für Wissenschaftler als Mikrofiche-Ausgabe herausgegeben. Darüber hinaus hatte das AA die Verfilmung weiterer Akten erlaubt, die die Sammlung vervollständigen konnten.
1919 hatte der bekannteste deutsche Armenien-Spezialist Johannes Lepsius offizielle deutsche Dokumente zum Thema herausgegeben („Deutschland und Armenien 1914-1918. Sammlung Diplomatischer Aktenstücke“), in denen Wissenschaftler zunehmend Fehler entdeckten. Ich verglich 440 der 444 publizierten Akten mit den Originaltexten (die sich weitgehend in den verfilmten AA-Akten wiederfanden) und stellte Abweichungen fest, die besonders die Rolle Deutschlands betrafen. Im Jahr 2000 veröffentlichte ich in diesem Portal unter „Revidierte Lepsius-Edition/Manipulierte Dokumente“ alle Texte mit diesen Abweichungen und machte die Manipulationen kenntlich. Im Artikel „Magisches Viereck“ versuchte ich die Hintergründe der Abweichungen zu erhellen. Gleichzeitig publizierten meine Frau (die inzwischen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an der Arbeit teilnehmen kann) und ich unter „Dokumentation“ die Originaltexte der von Lepsius 1919 veröffentlichten Akten und teilten sie ein in „Editionen I: Der Genozid 1915/16“ sowie die „Edition II: Die Kaukasus-Kampagne“. Letztere enthält bislang nur die revidierten Lepsius-Dokumente.
Im April 2003 veröffentlichten wir weitere rund 500 Dokumente des deutschen Auswärtigen Amts zum Thema Völkermord an den Armeniern 1915/16 aus der früheren Reihe „Türkei/183“, die sich nicht in der Lepsius-Auswahl von 1919 befanden sowie einige wenige Dokumente aus anderen Reihen und Nachlässen. Auswahlkriterium war die Wichtigkeit der jeweiligen Akte für den Völkermord von 1915/16.
Im März 2005 erschien im Verlag zu Klampen ein Band mit etwa 240 der wichtigsten AA-Dokumente zum Thema. Weil die Dokumente chronologisch geordnet waren, habe ich in einer längeren Einleitung versucht, die wichtigsten in den Akten angesprochenen Themen zu strukturieren. |